26 Mai 2007
Ein anderes Leben
Manchmal schlägt das Leben zu, völlig unerwartet und folgendschwer. Ich bin heute Abend mit einem Bekannten Zug gefahren, der vor zwei Jahren einen Auffahrunfall überlebt hat. Nach zwei Operationen läuft er heute mit Stock, schläft in einem Spezial-Bett und braucht für alle Tätigkeiten spezielle Hilfen. Teilweise schläft er sitzend, da seine Lunge in keinem guten Zustand ist und er somit nicht liegen kann. In ca. 5 Jahren steht die nächste Operation an, dann müssen gewisse Teile in seinem Körper ersetzt werden. Sofern der Eingriff dann nicht zu kompliziert wird. Er arbeitet noch 20%-30%.
Der Mann war 36, ein Leben mit Plänen vor sich. Noch ein Studium machen? Eine höhere Führungsposition anstreben? Doch plötzlich ist alles anders. Man muss umstellen, die Karriere an den Nagel hängen und schauen, dass man zu seinem Geld kommt. Und Leben kann. Er hat nun einen Anwalt beauftragt, mit den Versicherungen zu streiten. Ich kann mir vorstellen, dass man mit der Zeit genug davon hat. Altersvorsorge, Versicherungen, Schadenersätze, IV, da ein Case-Manager, dort ein Recht, das man einfordern müsste etc. Das kann an die Substanz gehen. Und da muss man das Leben, trotz allem, auch noch etwas geniessen können.
Am vergangenen Sonntag ist der Vater(49) einer ehemaligen Schulkollegin und Nachbarin mit dem Motorrad tödlich verunfallt. Das schockiert. Das Leben kann unglaublich grausam sein. Scheinbar ohne Rücksicht auf Verluste.
Immer wieder, besonders in den letzten Monaten, kommt mir das Sprichtwort „Everyone has their cross to bear“ in den Sinn. Nur weiss man das von den Wenigsten, was sie wirklich beschäftigt. Und welche Sorgen, Nöte und Ängste in unscheinbaren Köpfen existieren. Doch ich bin sicher, jeder hat welche. Und die Frage, ob Unglück gleichmässig verteilt ist, kann ich nicht beantworten. Auch wenn ich sie mir in solchen Augenblicken immer wieder stelle.
Auch wenn es mich stark beschäftigt, ich höre gerne Menschen zu. Die Geschichten anderer Menschen, der Menschen um mich herum, interessieren mich. Und ich komme immer wieder zum Schluss, dass das Leben und dessen Verlauf einzigartig und oft unverständlich ist. Und wir daher jeden einzelnen Tag geniessen sollten.
29 Mai 2007
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Belehrungen
Im Zug sieht man allerhand. Kürzlich hat sich gegenüber von mir ein Herr mittleren Alters (ca. 40-45) hingesetzt. Plötzlich beginnt er, mit seinen Fingern in seinen Nasen zu bohren. Anschliessend führt er sie zum Mund. Mich ekelt es, ich schaue zum Fenster hinaus.
Und stelle mir die Frage, inwiefern öffentliche oder allgemein Belehrungen gegenüber erwachsenen Menschen „erlaubt“ sind. Oder wäre ein dezenter Hinweis auf das Fehlverhalten in Ordnung? Wie hätte ich mich verhalten sollen? Es gibt Leute, die sagen, das seien erwachsene Personen und das gehe mich nichts an. Andererseits: müssen wir solche Dinge im öffentlichen Raum dulden?
Ich versetze mich in die beschriebene Person. Angenommen, ich hätte ein unhöfliches Verhalten, das mir nicht bewusst ist (ich gehe einmal davon aus, im erwähnten Fall sei das so). Ich würde es begrüssen, meine Mitmenschen wären so ehrlich, und würden mich darauf hinweisen. Doch im beschriebenen Fall habe ich da meine Hemmungen. Die Person ist sicher 20 Jahre älter als ich. Ich habe mir überlegt, eine Frage wie „Brauchen Sie ein Taschentuch?“ zu stellen. Oder wäre das „frech“? Ich weiss es nicht.
Vielleicht muss ich einfach einmal eine solche Erfahrung machen und meine Gedanken ausdrücken. Ich gebe zu, es braucht etwas Mut. Unhöflichkeiten gibt es aber genug. Doch ich möchte schlussendlich auch nicht als „Polizist“ dastehen, einen Streit über eine Kleinigkeit vom Zaun reissen oder den Menschen persönlich angreifen. Sondern nur auf Dinge hinweisen, die selbstverständlich sein sollten.
Beim Nasenboren dürfte das noch einfacher sein, da das Verhalten gesellschaftlich verpönt ist. Aber was ist z.B. mit dem Hochlagern von Füssen auf das Polster im Zug? Das stört heutzutage nun wirklich niemand mehr. Was, wenn sich die Person weigert, eine Zeitung darunter zu legen? Vor solchen Konflikten habe ich Respekt. Und ich denke, die Meisten verbergen dadurch ihren Unmut. Und schauen weg. Anschliessend beklagen wir uns über fehlende Zivil-Courage und schlechte Sitten. Ich bin überzeugt, es fängt im Kleinen an.